Erinnern Sie sich daran, wie Sie die meisten Aufgaben in Ihrem Leben gemeistert haben? Wahrscheinlich mit 10 Prozent Inspiration und 90 Prozent Transpiration. Also harte Arbeit und Durchhaltevermögen oder: „ohne Fleiss keinen Preis“. Stimmt’s? Dieses Erfolgsmuster hat viele von uns geprägt. Überspitzt gesagt entspricht es dem Kampf ums Überleben.
Die Natur hat uns dafür mit dem sympathischen Nervensystem ausgestattet. Seine Aufgabe ist es, in lebensbedrohlichen Momenten alle unseren Ressourcen und Energien zu mobilisieren, um der Gefahr zu entgehen. Gedacht war das Ganze als S.O.S-System beim Angriff eines Säbelzahntigers, mit dem sich unsere Vorfahren herumschlagen mussten. Inzwischen scheint jedoch ein Grossteil der sogenannten zivilisierten Bevölkerung im Wachzustand fast ausschliesslich in diesem Modus zu funktionieren. Das kann auf Dauer nicht gut sein.
Daher ist die Überraschung oft gross, wenn mein Gegenüber im Stimmtraining oder in der Stimmtherapie die Entdeckung macht, dass das sympathische Nevensystem allein gar nicht so sympathisch ist wie sein Name. Denn mit purem Wollen und Machen kommt man bei Stimme und Atmung nicht weit. Die Stimme ist eher wie eine kostbare Blume, die in ihrem eigenen Rhythmus wächst, wenn man sie gut pflegt. Und die Stimme ist wie ein Kind, das frei springen, spielen und lachen möchte. Dann kann sie auf spielerische Weise Meisterhaftes leisten.
Zum Glück hat der „Sympathikus“ einen Bruder, das parasympathische Nervensystem. Uff!! Denn dieses ist auf die Erholung und Regeneration des Körpers spezialisiert. Wenn wir den „Parasympathikus“ aktivieren, beruhigt sich unser Herzschlag, wir bekommen eine tiefere Atmung, die Muskeln entspannen sich, der Blick wird entspannt. Wir überleben nicht mehr, sondern wir leben!! Genau das braucht die Stimme, damit sie sich wohlfühlt. Und deshalb tickt sie eben anders als der Hopla-Hop-Galopp, mit dem wir oft durchs Leben rasen.
Beide, der „Sympathikus“ und der „Parasympathikus“ sind für die Aufrechterhaltung unseres inneren Gleichgewichts zuständig und erhalten uns am Leben. Weder der eine noch der andere sollte Überstunden machen. Vielleicht hilft Ihnen dieses Bild:
Stellen Sie sich vor, Sie hätten ein Buch, in dem schwarze Buchstaben auf schwarzes Papier gedruckt wären. Schwer zu lesen, oder? Genau so geht es uns, wenn wir davon ausgehen, dass Machen, Machen, Machen einzig und allein zum Ziel führt. Das weisse Papier, das sind die Pausen in Ihrem Tagesablauf, die Stille zwischen den Noten, das Zuhören und Verstehen. Wenn Sie beides miteinander verbinden, wird Ihre Stimme gerne alles dafür tun, damit die Geschichten in Ihrem Buch des Lebens andere erreichen und berühren.
Genau darum, um die Wechselwirkungen zwischen Klang und Stille wird es auch in meinen nächsten Beitrag gehen.