„Ich hab‘ keine Zeit“. Wann haben Sie diese magische Formel zum letzten Mal benutzt? Mir begegnet dieses Mantra des modernen Menschen häufig im Gespräch mit meinen Kunden und Patienten. Das hört sich meistens so an:
Herr/Frau Stimmnix: „Wow, diese Übung hat meiner Stimme richtig gut getan. Und ich kann endlich wieder tiefer atmen.“
Sigrid Haas: „Wunderbar! Jetzt geht es darum, diese neue Erfahrung so zu integrieren, dass sie schlussendlich automatisch abläuft. Für Personen über 7 Jahren wie uns geht das nur mit regelmäßiger Wiederholung. Sind Sie bereit, ein Mal täglich eine Minute lang zu üben?
Herr/Frau Stimmnix: „Was- jeden Tag? (reflexhaft) Also…dazu hab’ ich keine Zeit!“
Meistens lachen wir dann beide, weil das Argument der fehlenden Zeit unglaublich absurd und deshalb auch komisch ist.
Mir geht es ebenfalls so, dass ich diese kurze Phrase als höflich gemeintes Feigenblatt verwende, wenn ich keine Energie dazu habe, mich der nackten Wahrheit zu stellen. Die nackte Wahrheit lautet: ich habe Zeit, nämlich 24 Stunden am Tag – außer es wird gerade die Zeit umgestellt. Insofern ist die Sache mit der Zeit eine überaus demokratische Angelegenheit. Jeder bekommt, ob er möchte oder nicht, täglich 24 Stunden zugeteilt. Des Pudels Kern liegt in der Frage: wie verwenden wir diese Zeit?
Wenn wir also „keine Zeit“ für etwas haben, heißt das, dass wir diese Zeit lieber für etwas anderes verwenden. Ehrlicherweise könnten wir auch sagen: „Danke für das Angebot, die Einladung, die Frage, das Problem, die Herausforderung. Ich habe zu diesem Zeitpunkt etwas anderes vor.“ Diese scheinbar kleine Veränderung in der Wortwahl ist wichtig. Denn sie ändert grundlegend, wie wir uns im Gefüge von Zeit und Raum wahrnehmen.
Es gibt zwei grundsätzliche Fragen, die wir als Wegweiser nutzen können. Immer wieder aufs Neue.
1) Kommt meine Energie von außen?
Dann fühle ich mich von äußeren Umständen unter Druck gesetzt. Ich komme mir wir in einem Hamsterrad vor, in dem ich mich abarbeite. Mein Blick wird eng, ich fühle mich in einem Tunnel. Und deshalb ist es verständlich, dass ich jedes Quäntchen an Zusatzbelastung mit einem „ich hab’ keine Zeit“ abwehre.
2) Kommt meine Energie von innen?
Dann nehme ich mich auch bei einem intensiven und prall gefüllten Tagesablauf als selbstwirksam wahr. Mir gelingt es, wie ein Adler im freien Flug den Überblick zu wahren, und damit auch eine Balance zwischen Geben und Nehmen zu wahren. Ich übernehme Verantwortung für die Prioritäten, die ich gesetzt habe und kann sie gegebenenfalls revidieren. Und ich erkenne meine Grenzen an und hole mir bei Bedarf Hilfe.
Dass Sie und ich wie 98% der Menschheit hauptsächlich im Hamster-Modus funktionieren, ist keine Schande. Doch wir können uns zum Adler mausern. Wenn Sie also das nächste Mal zu einem „SOS-ich-hab-keine-Zeit“ ausholen, dann halten Sie kurz an. Oder stoppen Sie im Satz oder nachdem Sie den Satz ausgesprochen haben. Vielleicht mögen Sie dann einmal tief durchatmen und fortfahren: „Was ich eigentlich sagen wollte ist:…
– Ich merke, dass ich gerade auf 180 bin und keinen klaren Kopf habe
– Mit mir ist wieder mal Miss Perfect durchgegangen. Ich habe lange an einem Detail herumgefeilt. Das macht mich unzufrieden. Was ich wirklich brauche ist eine Pause, um mich zu erden. Lass mich das abschießen, dann komme ich auf dich und deine Anfrage zurück.
– Ich habe meinen Terminkalender sehr dicht geplant. Ich überlege, was ich weglassen, delegieren oder umdisponieren kann.“
Sich über die eigenen Prioritäten und Bedürfnisse klar zu werden hat nichts mit Egoismus zu tun, sondern mit gesunder Selbstfürsorge. Der Weg heraus aus dem Hamsterrad führt zu einem elastischen, in sekundenschnelle verfügbaren Zeit-Raum, der immer und überall verfügbar ist. Genau das ist das Thema des nächsten Blog-Beitrags. Sind Sie mit von der Partie? Oder haben Sie gerade keine Zeit?
